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Hoch stand die Sonne, als der junge Krieger sich von seinem Trupp, der um die Feuerstelle versammelt war, entfernte.
Niemand beachtete ihn, als er mit wenigen Schritten im dichten Gestrüpp des Niederholzes verschwand. Zu arglos
schienen sie ihm, zu laut, zu unvorsichtig, leicht konnte sich unbemerkt ein Feind anschleichen und sie überraschend
angreifen.
Er schlängelte sich durch das trockene Gestrüpp, achtete sorgsam darauf, dass er keinen Lärm machte, wich
manchem Ast und Ästchen geschickt aus, das beim Drauftreten hörbar knacken würde. Schwärme von
Insekten scheuchte er auf, die seinen Kopf umschwirrten wie eine lebende Haube. Schweiß rann ihm von der Stirn
über den Hals ins leichte Leinenhemd, das bereits nach wenigen Schritten durchnässt war und an dem Dornen und
dürre Blätter hängen blieben, wie wenn er sich absichtlich im Laub gewälzt hätte.
Schnaufend blieb er einen Moment liegen, hörte nur das ferne Rauschen des großen Flusses, der jenseits des vor
ihm aufsteigenden dichtbewachsenden Hügels sein musste. Ein Vogel flatterte auf, Kleingetier raschelte im Unterholz,
Ameisen, eine Eidechse. Am Rande einer kleinen Lichtung schlief ein dunkelgrüner Tümpel, über dem Wolken
von Insekten wie Goldstaub schwebten und die flirrende Luft mit ihrem sirrenden Geräusch füllten. Er wischte
sich mit dem Unterarm den Schweiß aus den Augen, rieb seine verschmutzten Händen an seinem Hemd ab.
Die Sonne drang mit ihrer prallen Hitze durch das Unterholz bis zur ausgetrockneten Erde, auf der er lag, das Ohr an sie
gepresst und nur das Rauschen und Klopfen seines eigenen Blutes hörend. Langsam und vorsichtig kroch er den
Hügel hinauf, jederzeit bereit, bei einem allfälligen Angriff sofort zurückzuschlagen, zu kämpfen
bis aufs Blut. Er presste die Zähne zusammen, als ein dicker Ast auf seinem Rücken eine langgezogene Wunde in
die Haut kratzte. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Sicht auf den nun deutlich zu hörenden Fluss. Als er
seinen Kopf vorsichtig über angehäufte Steine schob, hatte der durch den Maschendraht freie Sicht auf die
Ebene, über die der Ferienverkehr auf der Autobahn vorbeirauschte.
Später hörte er seinen Namen rufen, laut und aufgeregt. Er schlich zurück, schneller als auf dem Hinweg,
nun nicht mehr still und langsam auf dem Kriegspfad, sondern laut und hastig auf dem Fluchtweg, verhedderte sich in Dornen
und gelangte schließlich wieder zu seinem Trupp, der reisebereit vor dem Auto stand.
"Wo warst Du ?" fragte ihn der Vater verärgert. "Sieh mal wie verschmutzt Du bist", sagte die
Mutter, "und geh ja nicht mehr ohne unsere Erlaubnis von einem Rastplatz weg."
Dann ritten sie mit dem Auto zurück auf dem Kriegspfad und galoppierten mit vollaufgedrehtem Motor und mit
geöffneten Fenstern über die staubige Prärie.
Matthyas Jenny
Am 12. Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
Dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.
Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen lässt,
als alle Beteiligten zu vergiften.
Zu entfliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.
Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.
Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.
Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.
Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.
Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall. Es schlich auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm über dem Meer.
Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster hinaus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.
Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.
Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,
völlig beruhigt, ihre bekannte elliptische Bahn.
Erich Kästner, 1930