Vorige Seite Inhaltsverzeichnis Nächste Seite
Verträumt und noch etwas schläfrig öffne ich meine Augen. Am Ende des Bettes erblicke ich über meinen Füßen wie an jedem Morgen ein Bild. Und - wie an jedem Morgen - sieht es etwas anders aus. Es ist ein kleines Bullauge, dass mich schon nach draußen gucken lässt, obwohl mich noch ein kuscheliger Schlafsack umgibt. Kuschelig ... - zum Glück, denn die Temperatur draußen scheint nicht in Gänze der Klimazone im Innenleben meines Schlafsacks zu entsprechen. Wieder einmal ist es eher grau und ungemütlich, nass und zugig. Der Duft von frischem Kaffee und Brötchen (ein etwas beschönigender Name für ein undefinierbares holländisches Backerzeugnis) lässt mich dann aber doch das wohlige Kojennest verlassen. Dieser Urlaub verwandelt schon kleine, alltägliche Dinge zu spannenden Abenteuern: Wo sind meine Puschen? Fast alle Klos sind belegt. Na ja, dann halt am Morgen schon die traditionelle Schiffstoilette: ordentliches Pumpen ersetzt die Frühgymnastik. Und dann das noch: Das Schiff ist von Endlos-Duschern bevölkert! Nun, auch egal! Nervt man halt usselig und ungeduscht wie man ist die Frühstücksgruppe mit blöden Sprüchen. Gleichzeitig klaut man sich die erste Essensration heimlich vom Frühstückstisch. Diese Stärkung fürs Duschen muss drin sein! Dann doch endlich ein tropischer Regenguss. Aber sonst ist alles anders: Wie hält man die Brause? Wo lässt man sein Handtuch und seine Sachen? Und wo ist schon wieder besagter blauer Wunderknopf, der das Wasser wie von Zauberhand aus dem Becken in die raue See pumpt? Aber Schluss mit den warmen Gedanken: Tür auf und raus auf den Flur und flugs in die Kajüte geeilt - aber, wenn man schon einmal da ist: Einen kurzen Blick durch die Luke wagen ... o. k., dann auch noch für einen kurzen Augenblick "richtig" raus: Es ist so schmuddelig, wie mein Bild in der Kajüte es erahnen ließ. Uah! Und dieses jetzt zu 360° vervollständigte Bild hat sich in den letzten Tagen auch nicht wirklich geändert: Der Hafen von Terschelling. An sich ganz schön, mit dem Schiff so mitten in dem kleinen Städtchen liegen - mit dem Leuchtturm vor der Haustür bzw. vor der Luke ... Nun sitzen wir aber wegen des starken Sturms schon ganze zwei Tage hier fest. Aber wir haben das Beste raus gemacht: Mehr Zeit zur Muße und zum Kochen! Es gibt wahrhaftig einen schlechteren Platz für so einen Zwangsaufenthalt: Das Örtchen ist ja ganz heimelig, das Schiff ist schon bald unsere zweite Heimat und die Besatzung fast unsere Familie! Wir sind fast die Einzigen hier auf dem Eiland - was für den Inselhafen tatsächlich nicht Normalität ist - auch nicht in der Nebensaison. Den weiteren Tagesablauf bestimmen die Gezeiten. Ein besonderes Gefühl für einen 100% urbanisierten Menschen, dass die Natur sagt, wo es lang geht - oder auch nicht! Der Sturm drückt das Wasser schon seit Tagen gegen das Land. Jede Flut wird höher und bei Ebbe kann das Wasser nicht komplett ablaufen. So kommt es, dass der Anlegesteg heute mal unterhalb der Wasserlinie verläuft. Abgestellt Fahrräder versinken in der Flut und uninformierte Jugendgruppen müssen knietief durch das kalte Nordseewasser zu ihrem Schiff stapfen. Als gefangener - aber trockener! - Beobachter erwischt man seine Gedanken bei einem kleinen, fast unbemerkten Ausflug in die Schadenfreude ... Tja, das Segeln hält doch jedes Jahr wieder neue kleine und große Überraschungen bereit, die erlebt werden wollen. Ich hoffe für morgen aber erst einmal, dass meine verschlafenen Augen auf dem Bild in meiner Kajüte nun endlich mal eine karibische Traumlandschaft erblicken können - und wenn nicht ... auch nicht schlimm!
Markus Ziganki